Das thurgauische »Zeichen der Erinnerung«

für die Opfer von fürsorgerischen Zwangs­massnahmen und
Fremd­platzierungen sowie für die Betroffenen von Medikamenten­tests

Das Haus der Erinnerung

Das Haus der Erinnerung

Das in Rorschacher Sandstein ausgeführte, archaisch anmutende »Haus der Erinnerung« bildet das Zentrum des thurgauischen »Zeichens der Erinnerung«. Auf seinen Seiten­flächen treten in der Handschrift von Karolin Bräg Gedanken in Erscheinung, die Betroffene im vertrauens­vollen Gespräch mit der Künstlerin geäussert haben. An den Schmalseiten wurden je ein Hausteil ab­getrennt und als »Partnerzeichen« an anderen Standorten im Kanton aufgestellt. Die drei Skulpturen erinnern an die leidvollen Vorgänge, denen Menschen durch fürsorgerische Zwangs­massnahmen, Fremd­platzierungen und Medi­kamenten­tests ausgesetzt waren. Die so ent­stehenden Verbindungen lassen das Netz staatlicher Institutionen erahnen, in das die Betroffenen seinerzeit gerieten.

Das Partnerzeichen am See

Das Partnerzeichen am See

Das eine Partnerzeichen steht auf dem Areal der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen. Die Klinik war der Ort der Medikamenten­tests, und sie war auch mannig­fach an den für­sorgerischen Zwangs­massnahmen und Fremd­platzierungen vor 1981 beteiligt. Das Partner­zeichen am See wirkt als Erinnerungs­ort nicht nur in die Öffentlichkeit, sondern als Reflexions­ort auch nach innen: auf die Psychiatrische Klinik Münsterlingen und auf die jetzt dort domizilierte Stiftung Mansio.

Das Partnerzeichen in Kalchrain

Das Partnerzeichen in Kalchrain

Das andere Partnerzeichen steht auf dem Areal des heuti­gen Mass­nahmen­zentrums Kalchrain. Die ehemalige Arbeits­erziehungs­anstalt spielte beim Vollzug der für­sorgerischen Zwangs­massn­ahmen vor 1981 jahr­zehnte­lang eine tragende Rolle. Das auf dem Areal platzierte, jedoch frei zugängliche Partner­zeichen wirkt auf das Mass­nahmen­zentrum selber als Mahn­mal, trägt die Botschaft des thurgauischen »Zeichens der Erinnerung« aber auch in die Öffentlich­keit.

Der Vermittlungsort

Der Vermittlungsort

Die ehemalige Abdankungs­halle auf dem Spital­friedhof Münster­lingen ist heute ein Ver­mittlungs- und Gesprächsort des thurgauischen »Zeichens der Erinnerung«. Fünf Tafeln orientieren über das Projekt, den Spital­friedhof, die unrecht­mässigen, viel Leid verur­sachenden für­sorgerischen Zwangs­mass­nahmen und Fremd­platzierungen sowie die in berufs­ethischer Hinsicht frag­würdigen Medika­menten­tests. Das aufliegende Buch bringt eine Fülle von Gedanken von Betroffenen und Nicht-Betroffenen zum Ausdruck und verwebt ihre Aussagen zu einem eindringlichen Zeugnis. Es möchte anregen, die eigenen Gedanken nieder­zu­schreiben.

Der Spitalfriedhof

Der Spitalfriedhof

Der ehemalige Spitalfriedhof von Münster­lingen mit seinen letzten Gräber­reihen ist nicht nur Standort, sondern integraler Bestand­teil des thurgauischen »Zeichens der Erinnerung«. Er ist einer der heraus­ragenden sozial­geschicht­lichen Erinnerungs­orte des Kantons Thurgau. Hier wurden auch Verstorbene der nahe­gelegenen Psychiatrie beigesetzt. Nun bilden der Friedhof, das »Haus der Erinnerung«, der Vermittlungs­ort in der ehe­maligen Ab­dankungs­halle, das dort auf­liegende Buch sowie die Partner­zeichen am See bzw. in Kalchrain eine un­auflös­bare Einheit.

Das Gespräch

Erinnerung ist fort­gesetztes Gespräch über Vergangen­heit. Und das thurgauische »Zeichen der Erinnerung« ist ohne Gespräch nicht denkbar. Die Künstlerin selber führte sehr persön­liche Gespräche mit fünfzig Menschen, die auf unter­schiedliche Weise mit den Gescheh­nissen ver­bunden sind. Sie ver­dichtete deren Gedanken in über 200 authentischen Zitaten. Im Zentrum stand das ver­trauens­volle Mit­teilen und Zu­hören. In einem längeren Prozess wurden die Aussagen sorg­fältig aus­ge­wählt und für das Buch »Mit wem hätte ich reden können?« zusammen­gestellt. Das Buch liegt am Vermittlungs­ort auf dem Münster­linger Spital­friedhof auf. Dort und anderswo darf und soll das Gespräch weiter­gehen.

Karolin Bräg, Künstlerin

Karolin Bräg

Die 1961 in Köln geborene Künstlerin wirkt seit Jahr­zehnten von München aus. Im persön­lichen Gespräch fragt sie Menschen nach ihren Erfahrungen und Gedanken zu existenziellen Themen. Mit ihrer Arbeit will sie einer breiteren Öffentlichkeit die authentische Auseinander­setzung mit Bereichen ermöglichen, die alle betreffen, aber nicht selten sprachlos machen. Karolin Bräg ist regel­mässig an Ausstellungen präsent und realisierte zahlreiche Kunst­projekte, wie die Arbeit »Mir gefällt’s recht gut da...« in der Kartause Ittingen, den Steinkreis am Münchner Westfriedhof und die Wander­ausstellung »Weil du mich berührst…«. 2020 gewann sie den Wettbewerb für das thurgauische »Zeichen der Erinnerung«.

Filme

  • Christen, Simon: Heim- und Verdingkinder.
    Die Aufarbeitung eines grossen Unrechts
    Dok-Film SRF
  • Horowitz, Liz: Die Medikamenten­versuche von Münsterlingen
    Dok-Film SRF